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Die Bedeutung von Real-World-Evidence (RWE) am Beispiel eines Diclofenac-Schmerzgels sowie eines Xylometazolin-Nasensprays


EFSM: 2024;4:240036DOI: 10.52778/efsm.24.0036Veröffentlicht am: 30.07.2024
Markus Zieglmeier

Real-World-Evidence(RWE)-Studien gewinnen in der medizinischen Forschung immer mehr an Bedeutung, da sie den Einsatz einer medikamentösen Therapie unter Alltagsbedingungen untersuchen. Zwei aktuelle RWE-Studien im Bereich der Selbstmedikation zeigen beispielhaft, welchen Mehrwert diese Methodik für die Bewertung von Arzneimitteln liefern kann.

Real World Evidence (RWE) in der Medizin bezieht sich auf klinische Erkenntnisse über die Anwendung, den potenziellen Nutzen oder die Risiken eines medizinischen Produkts im Alltag, ohne die strikten Einschluss- und Ausschlusskriterien von randomisierten klinischen Studien (RCT). Die Kombination von RCTs und RWE ermöglicht ein umfassenderes Verständnis der Wirksamkeit und Sicherheit medizinischer Interventionen und findet zunehmend Anwendung in allen Phasen der Forschung.

RWE-Studie mit Voltaren Schmerzgel 1,16% und Voltaren Schmerzgel forte 2,32%

Internationale und nationale Leitlinien empfehlen topische nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) als Mittel der Wahl, z. B. bei akuten muskuloskelettalen Schmerzen wie Verstauchungen und Zerrungen, bei Arthrose des Knies und der Finger sowie bei akuten Rückenschmerzen [1–4]. Eine kürzlich publizierte, große RWE-Studie wertete erstmals Patientenerfahrungen und Nutzungsmuster der Anwendung von Diclofenac-Schmerzgelen im Alltag aus [5]. 

Retrospektive Analyse

Im Untersuchungszeitraum (1 Jahr) wurden die in der Apothekensoftware gespeicherten Daten von fast 4 Mio. Kunden nach Voltaren Schmerzgel (1,16% Diclofenac) und Voltaren Schmerzgel forte (2,32% Diclofenac) gescreent. Die Präparate wurden hauptsächlich an ältere, multimorbide Patienten abgegeben, eine Zielgruppe, die in klinischen Studien unterrepräsentiert ist. Von den insgesamt knapp 100.000 Datensätzen enthielten etwa 42,7% Voltaren Schmerzgel und etwa 65,3% Voltaren Schmerzgel forte. Demnach erhielten 8% der Patienten im untersuchten Zeitraum beide Konzentrationen. Folgende Abgabemuster waren erkennbar:

  • Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 72,0 Jahren (18 bis 85+), der überwiegende Teil dieser Patienten war weiblich (60,9%).
  • 70,8% der Patienten kauften nur eine einzige Packung Diclofenac-Schmerzgel im Untersuchungszeitraum.
  • < 1% der Patienten erhielt innerhalb von sieben Tagen nach Abgabe des Diclofenac-Schmerzgels zusätzlich ein orales NSAR.
  • Die Mehrheit der Patienten wechselte im Analysezeitraum nicht zu einer anderen topischen Schmerzbehandlung, was auf eine hohe Patientenzufriedenheit schließen lässt.
  • 74,3% der Patienten erhielten auch eine Medikation aufgrund bestehender Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 35,4% wegen gastrointestinaler Beschwerden. 30,9% der Patienten erhielten Behandlungen aufgrund beiderlei Beschwerden. 

Prospektive, longitudinale Befragung

Mithilfe eines Fragebogens wurden 467 Patienten zum Zeitpunkt des Kaufes von Voltaren Schmerzgel 1,16% oder Voltaren Schmerzgel forte 2,32% zur Schmerzstärke und Funktionsbeeinträchtigung sowie vier und zwölf Wochen danach zusätzlich zu ihrer Behandlungszufriedenheit befragt. 

Die Schmerzbewertung erfolgte auf einer numerischen Rating-Skala (NRS) und unterschied vier Schmerzintensitäten: kein Schmerz (NRS 0), leichter Schmerz (NRS 1–3), mittlerer Schmerz (NRS 4–6) und starker Schmerz (NRS 7–10). In Woche 4 waren 48,6% der Patienten, die zu Beginn zur starken Schmerzkategorie gehörten, einer leichter betroffenen Schmerzkategorie zuzuordnen. In Woche 12 hatten sich sogar 58,7% der zu Anfang von starkem Schmerz betroffenen Patienten in eine Kategorie mit geringerem Schmerz eingestuft (Abb. 1

Die meisten Teilnehmer waren zu Beginn der Studie in den folgenden Bereichen mindestens mäßig stark beeinträchtigt: tägliche Aktivitäten z. B. Essen, Anziehen, Schlafen, Körperpflege (78,4%), Hausarbeiten und Besorgungen (69,8%), körperliche Aktivitäten (79,5%) und soziale Aktivitäten (48,0%). Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten verbesserten sich im Verlauf der Studie die Alltagseinschränkungen (Abb. 2). 

Mehr als drei Viertel der Patienten waren mit den Ergebnissen der topischen Behandlung mit Dicofenac-Schmerzgel „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ (77,2% in Woche 12). Gründe für die Zufriedenheit waren die Wahrung der Selbständigkeit, die einfache Anwendung und die erleichterte Durchführung von Alltagstätigkeiten. Die vorliegende Beobachtungsstudie zeigt, dass eine adäquate Schmerzbehandlung die Teilhabe am Leben und damit die Lebensqualität der Betroffenen verbessert. Zudem kann der Abbau von Bewegungseinschränkungen den Heilungsprozess fördern und Fehlhaltungen vorbeugen. Besonders für multimorbide Patienten ist die topische Anwendung eine sehr gute Behandlungsoption zu oralen Analgetika/Antiphlogistika, da das Risiko für systemische Neben- und Wechselwirkungen deutlich reduziert ist.

RWE-Studie mit Otriven 0,1% Nasenspray

Eine RWE-Studie betrachtet erstmalig die Lebensqualität bei Personen mit Erkältung während der Behandlung mit Otriven Nasenspray mit 0,1% Xylometazolinhydrochlorid [6]. 136 Teilnehmende wurden gebeten, zu Studienbeginn und an jedem Behandlungstag (max. 7 Tage) den Fragebogen Wisconsin Upper Respiratory Symptom Survey-21 (WURSS-21) in Bezug auf die vergangenen 24 Stunden über eine App auf ihrem Smartphone zu beantworten, um den Verlauf der Erkältungssymptome und die Beeinträchtigung von Alltagstätigkeiten zu dokumentieren. Der Fragebogen besteht aus insgesamt 21 Fragen, davon neun Fragen zur Lebensqualität. Ergänzt wurde der WURSS-21 in dieser Studie um weitere Fragen zur Lebensqualität (z. B. zu Schnarchen, Energie-Level und sensorischer Wahrnehmung), um die Auswirkungen des abschwellenden Nasensprays auf den Alltag noch besser bewerten zu können (Tab. 1). 

Tab. 1. Die in der Studie verwendeten Kategorien zur Lebensqualität (QoL) mit individuellen Lebensqualitätsfaktoren [6]

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LebensqualitätskategorieIndividuelle Lebensqualitätsfaktoren
Schlafqualität
  • Guter Schlaf (WURSS-21)
  • Schnarchen
Vitalität
  • Verminderte Energie
  • Verminderte Motivation
  • Müdigkeitsgefühl (WURSS-21)
  • Aufmerksamkeit
Körperliche Aktivität
  • Atemprobleme (WURSS-21)
  • Gehen, Treppen steigen, Sport treiben (WURSS-21)
  • Tägliche Aktivitäten ausführen (WURSS-21)
Soziale Aktivität
  • Interaktion mit anderen (WURSS-21)
  • Selbstbewusstsein im Umgang mit Menschen
Sensorik
  • Geruchssinn
  • Geschmackssinn
Weitere QoL-Faktoren
  • Verunsicherung bzgl. des Klangs der eigenen Stimme
  • Zuhause arbeiten (WURSS-21)
  • Außer Haus arbeiten (WURSS-21)
  • Privatleben (WURSS-21)
  • Klares Denken (WURSS-21)

Bewertet wurden sowohl die Erkältungssymptome als auch die Einschränkungen im Alltag (Lebensqualität) auf einer numerischen Skala von 0 = keine bis 7 = starke Symptome bzw. Einschränkungen. Eingeschlossen wurden Studienteilnehmer mit mindestens mäßig stark verstopfter Nase (≥ 5 Punkte) und einem weiteren Erkältungssymptom von mindestens leichter Intensität (≥ 3 Punkte) zu Studienbeginn. Als gravierendste Beschwerden zeigten sich zu Beginn der Studie die verstopfte Nase (5,5 ± 0,09 Punkte), Atemschwierigkeiten (5,3 ± 0,14 Punkte), verminderte Energie (5,2 ± 0,14 Punkte), Motivationsschwierigkeiten (5,2 ± 0,14 Punkte), verminderte Schlafqualität (4,9 ± 0,16 Punkte), Müdigkeitsgefühl (4,9 ± 0,16 Punkte) sowie Einschränkungen beim Riechen (4,8 ± 0,16 Punkte).

Bereits an Tag 1 reduzierte sich das Symptom der verstopften Nase signifikant im Vergleich zum Ausgangswert (p < 0,01) und nahm im Verlauf der Studie weiter ab. Mit der letzten Anwendung hatte sich das Symptom um 68,1% (von 5,5 ± 0,09 auf 1,8 ± 0,16 Punkte) reduziert, was sehr milden bis keinen Symptomen entspricht. Der WURSS-21 Total Symptom Score, der alle zehn Fragen zur Bewertung von Erkältungssymptomen umfasst (neben verstopfter Nase z.B. auch Halsschmerzen und Husten), verbesserte sich ab Tag 2 bis zum Ende der Studie signifikant (64,8% am Ende der Studie versus Baseline). 

Der Einfluss der Behandlung mit 0,1% Xylometazolinhydrochlorid auf die Lebensqualität insgesamt ist aus dem WURSS-21 Total QoL Domain Score ersichtlich. Er umfasst neun Fragen zur Lebensqualität (siehe mit „WURSS-21“ markierte Faktoren in Tabelle 1) und verbesserte sich bereits ab Tag 1 der Anwendung des abschwellenden Nasensprays signifikant (Abb. 3). 

Um genauer zu verstehen, in welchen Bereichen des Alltags das abschwellende Nasenspray die Lebensqualität verbessert, wurden fünf Kategorien mit entsprechenden Fragen aus dem WURSS-21 Fragebogen und den acht zusätzlichen Fragen zur Lebensqualität gebildet. Die Kategorien „Schlafqualität“, „Vitalität“, „Körperliche Aktivität“, „Soziale Aktivität“ und „Sensorik“ (Tab. 1) wurden für jeden Behandlungstag berechnet. Dabei zeigten die ersten vier Kategorien bereits ab Tag 1 eine signifikante Verbesserung, die im Verlauf der Studie noch weiter zunahm. Die Kategorie „Körperliche Aktivität“ zeigte ab Tag 2 bis Studienende eine signifikante Verbesserung (Abb. 4). 

Die Behandlung wurde nur so lange wie erforderlich durchgeführt. Das abschwellende Nasenspray wurde von 58% der Patienten für maximal fünf Tage angewendet. Am 7. Tag applizierten 30% der Patienten die letzte Dosis. Mehr als 90% der Teilnehmenden dieser Studie gaben an, mit dem Produkt zufrieden oder sehr zufrieden zu sein und würden Xylometazolinhydrochlorid 0,1% wieder verwenden. Dabei belegte diese RWE-Studie sehr deutlich, dass der Effekt über eine verbesserte Nasenatmung weit hinaus geht. Die verbesserte nasale Atmung zeigte Einfluss auf alle Lebensbereiche. Insbesondere die Schlafqualität könnte von zentraler Bedeutung sein, nicht nur für die Regeneration des Immunsystems, sondern auch für die Vitalität und damit die Lebensqualität der Patienten.

Fazit

Wie die beiden RWE-Studien zeigen, leisten diese einen bedeutenden Beitrag zur Evidenzgenerierung, da ergänzend zu randomisierten kontrollierten Studien, wertvolle Einblicke zum Einsatz von Medikamenten unter realen Alltagsbedingungen geliefert werden.

Literatur

  1. National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Osteoarthritis in over 16s: diagnosis and management (2022). https://www.nice.org.uk/guidance/ng226 (accessed 19/06/2024).
  2. Kloppenburg M, Kroon FP et al. 2018 update of the EULAR recommendations for the management of hand osteoarthritis. Annals of the Rheumatic Diseases 2019;78:16-24. https://ard.bmj.com/content/annrheumdis/78/1/16.full.pdf (accessed 19/06/2024)
  3. Bruyère O, Cooper C et al. A consensus statement on the European Society for Clinical and Economic Aspects of Osteoporosis and Osteoarthritis (ESCEO) algorithm for the management of knee osteoarthritis—From evidence-based medicine to the real-life setting. Seminars in Arthritis and Rheumatism 2016;45(4):3–11. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0049017215002887?via%3Dihub (accessed 19/06/2024).
  4. Bannuru RR, Osani MC, et al. OARSI guidelines for the non-surgical management of knee, hip, and polyarticular osteoarthritis. Osteoarthritis and Cartilage 2019;27(11):1578–1589. https://www.oarsijournal.com/article/S1063-4584(19)31116-1/fulltext (accessed 19/06/2024)
  5. Maihöfner C, de Haas A, et al. Patients’ experience and utilization patterns of diclofenac gel in Germany: a real-world study with a prospective longitudinal survey and a retrospective analysis of pharmacy data, Current Medical Research and Opinion 2023;39:1649–61. doi 10.1080/03007995.2023.2243804. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/03007995.2023.2243804 (accessed 19/06/2024).
  6. Hagen M, Clark K, et al. A real-world study of quality of life following treatment with xylometazoline hydrochloride in individuals with common cold. Therapeutic Advances in Respiratory Disease 2024;18. doi:10.1177/17534666241228927. https://www.ncbi.nlm..gov/pmc/articles/PMC10878222/ (accessed 19/06/2024).

Gender-Hinweis: Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen. Auf eine Doppelnennung und gegenderte Bezeichnung wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.

Interessenkonflikt: Keiner

Offenlegungen: Medical Writing und Veröffentlichung finanziert von Haleon Group of companies.

Affiliation/Korrespondenz: Dr. Markus Zieglmeier, Einfeld 21, 84434 Kirchberg
Eingereicht am: 19.06.2024Akzeptiert am: 09.07.2024Veröffentlicht am: 30.07.2024
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