Natürliche Laxanzien sind nicht unbedingt sicherer in der Anwendung
Es besteht der allgemeine Irrglaube, dass natürliche und pflanzliche Arzneimittel im Vergleich zu synthetischen Medikamenten besser und/oder sicherer für unsere Gesundheit sind. Jedoch haben sich nicht alle natürlichen Produkte als wirksam erwiesen und einige wurden zudem mit ernsthaften Sicherheitsbedenken in Verbindung gebracht [5]. Ziel dieser Übersichtsarbeit war es, die aktuellen Erkenntnisse zu drei in der klinischen Praxis häufig angewendeten stimulierenden Laxanzien zusammenzufassen und zu vergleichen: SPS und Bisacodyl (beide synthetischen Ursprungs) und Senna (natürlichen Ursprungs).
Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Wirkweise von Stimulanzien
Die weltweite Prävalenz der Obstipation wird auf 14% geschätzt [2, 3]. Zu den pharmakologischen Behandlungsmethoden der Obstipation gehören Ballaststoffe (z. B. Psyllium), osmotische Laxanzien (z. B. Polyethylenglykol, PEG), stimulierende Laxanzien (z. B. Bisacodyl, Senna, SPS), Sekretagoga (z. B. Linaclotid) und Serotonin-Agonisten (z. B. Prucaloprid) [1]. Die stimulierenden Laxanzien lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Diphenylmethanderivate (z. B. Bisacodyl und SPS) und pflanzliche Anthrachinone (z. B. Senna, Aloe und Cascara) [2, 3]. In dieser Übersicht konzentrieren wir uns auf die häufig angewendeten stimulierenden Laxanzien Bisacodyl, SPS und Senna.
Alle stimulierenden Laxanzien haben nachweislich sowohl eine prokinetische als auch eine sekretorische Wirkung auf den Dickdarm, indem sie sowohl die Darmmotilität als auch die Wasser- und Elektrolytsekretion stimulieren und somit die Darmtransitzeit beschleunigen (Abb. 1) [2, 3].
Abb. 1. Wirkmechanismus von stimulierenden Laxanzien [2].
Bisacodyl und SPS sind beide Prodrugs und werden im Darm in denselben aktiven Metaboliten Bis-(p-hydroxyphenyl)-pyridyl-2-methan (BHPM), der für die abführende Wirkung verantwortlich ist, umgewandelt. Während Bisacodyl durch endogene Enzyme der Darmschleimhaut in BHPM umgewandelt wird, ist die Umwandlung von SPS in BHPM von Darmbakterien abhängig (Abb. 2) [2].
Senna ist ein Derivat der Sennapflanze und enthält Sennosid A und B, die von Darmbakterien in die aktiven Metaboliten Rheinanthron und Rhein umgewandelt werden müssen (Abb. 2) [3].
Daher sind sowohl SPS als auch Senna von der bakteriellen Aktivität abhängig, um eine abführende Wirkung zu erzielen. Wenn das Darmmikrobiom verändert ist, z. B. aufgrund einer Antibiotikabehandlung, kann die Wirkung dieser Laxanzien beeinträchtigt sein, was darauf hindeutet, dass Bisacodyl eine beständigere Wirkung hat [2], wobei diese Annahme noch bestätigt werden muss.
Abb. 2. Metabolismus von Bisacodyl, Natriumpicosulfat und Senna. BHPM = Bis-(p-hydroxyphenyl)-pyridyl-2-methan. Adaptiert aus [6].
In der Leitlinie werden Bisacodyl und Natriumpicosulfat dringend empfohlen
Seit den 1950er-Jahren wurden Studien zur klinischen Evidenz von Bisacodyl und SPS durchgeführt und seit der Einführung der guten klinischen Praxis wurden drei große klinische Studien umgesetzt [2]. Aufgrund der Erkenntnisse aus den Studien hat das AGA/ACG-Komitee vor kurzem eine Leitlinie für die klinische Praxis zur pharmakologischen Behandlung der chronischen idiopathischen Obstipation veröffentlicht, in der sowohl Bisacodyl als auch SPS zur Kurzzeitbehandlung (tägliche Einnahme über einen Zeitraum von vier Wochen oder weniger) oder als Notfallmedikation als dringend empfohlen eingestuft wurden. Diese Einstufung entspricht dem höchsten Empfehlungsgrad und der höchsten Beweissicherheit unter den verschiedenen Laxanzien, die in der AGA/ACG-Leitlinie aufgeführt sind [1]. Auch die Tatsache, dass Bisacodyl und SPS in klinischen Studien, in denen neue Wirkstoffe untersucht werden, als Notfallmedikation empfohlen werden, deutet darauf hin, dass an ihrer Wirksamkeit kein Zweifel besteht [2]. In den veröffentlichten randomisierten, kontrollierten Studien betrug die anfängliche Tagesdosis sowohl für SPS als auch für Bisacodyl 10 mg oral, sodass während des Behandlungszeitraums eine Herabtitrierung möglich war. Der Prozentsatz der Patienten mit arzneimittelbedingten Nebenwirkungen (Durchfall oder Bauchschmerzen) ging bei einer Dosisreduzierung deutlich zurück, was darauf schließen lässt, dass die Behandlung besser vertragen wurde, sobald die Patienten ihre individuelle Dosis gefunden hatten [2, 3]. Darüber hinaus empfiehlt die AGA/ACG-Leitlinie, mit einer niedrigeren Dosis zu beginnen und diese bei Bedarf und Verträglichkeit zu erhöhen, was im Einklang mit früheren Erkenntnissen über ein besseres Obstipationsmanagement steht [2, 3].
Gelegentlich äußern Patienten den Wunsch nach einem natürlichen Abführmittel wie Senna in der Überzeugung, dass ein natürliches Abführmittel sanfter und verträglicher sei. Ein Blick in die Literatur zeigt jedoch, dass es an großen, randomisierten, kontrollierten Studien zu Senna fehlt [2]. In einer kürzlich durchgeführten systematischen Übersichtsarbeit und Metaanalyse zeigte eine Senna-Supplementierung in Bezug auf die Verbesserung der Obstipationssymptome keine besseren Ergebnisse als ein Placebo [7]. Darüber hinaus wird Senna in der AGA/ACG-Leitlinie mit einem bedingten Empfehlungsgrad und einer geringen Beweissicherheit bewertet [1]. Die Autoren der Leitlinie weisen darauf hin, dass in den verfügbaren Studien höhere Dosen als die üblicherweise verwendeten eingesetzt wurden (1 g täglich gegenüber 6–17 mg täglich), was bedeutet, dass weitere Studien erforderlich sind [1, 7].
Auf der Grundlage der verfügbaren Belege und gestützt durch internationale Leitlinien weisen Bisacodyl und SPS bei der Behandlung der chronischen idiopathischen Obstipation daher solidere Daten auf als Senna, was der Grund für ihren höheren Empfehlungsgrad ist.
Sicherheitserwägungen für eine bis zu 28-tägige und langfristige Anwendung
Im Gegensatz zu PEG und neueren zugelassenen Arzneimitteln sind die verfügbaren Erkenntnisse zur Langzeitanwendung von Bisacodyl, SPS und Senna begrenzt [3]. Dennoch werden immer wieder Bedenken hinsichtlich Abhängigkeit, Gewöhnung/Toleranz oder Schädigung des Darms geäußert. Diese stützen sich auf unbegründete Annahmen und Erfahrungen mit anderen Laxanzien und können durch neuere Studien zu Bisacodyl widerlegt werden [2].
Aus pharmakologischer Sicht wird der aktive Metabolit BHPM (aus Bisacodyl und SPS) nicht resorbiert und kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden, sodass er unabhängig von der Dauer der Einnahme keinerlei Abhängigkeit verursachen kann [2, 3, 8].
In Anbetracht der Tatsache, dass es nur wenige Informationen über die Langzeitanwendung gibt, kann eine kürzlich durchgeführte retrospektive Beobachtungsstudie zur Ergänzung der klinischen Daten hilfreich sein [3]. In dieser Studie untersuchten die Autoren Änderungen in der Dosierung von Bisacodyl bei kontinuierlicher Anwendung über mindestens 28 Tage.
Abb. 3. Anteil der Patienten mit Dosisänderungen während des Nachbeobachtungszeitraums in der Langzeitkohorte. Adaptiert aus [3].
Während des gesamten Nachbeobachtungszeitraums behielten 94,0% der Patienten ihre Anfangsdosis von Bisacodyl bei. Nur sieben Patienten (4,2%) derjenigen, die 5 mg Bisacodyl einnahmen, erhöhten ihre Dosis, während vier Patienten (10,8%) in der 7,5-mg-Gruppe und zwei Patienten (13,3%) in der 10-mg-Gruppe ihre Dosis während dieses Zeitraums verringerten (Abb. 3). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Bisacodyl in einer stabilen Dosis verschrieben werden kann und dass es im Einklang mit früheren Studien keine Anzeichen für eine mögliche Gewöhnung gab [3].
Bei der Einnahme von Senna wurde in einer systematischen Übersichtsarbeit berichtet, dass zwei Drittel der Personen mit chronischer Obstipation die Behandlung mit Senna wegen unzureichender Linderung der Darmsymptome und aufgrund von Nebenwirkungen abbrachen. Die beiden analysierten Studien umfassten 254 Teilnehmer, die täglich zwischen 15 mg und 1 g Senna einnahmen [7].
Sicherheit der Anwendung während Schwangerschaft und Stillzeit
Die Wirkstoffe Bisacodyl und SPS werden seit den 1950er- bzw. 1960er-Jahren zur Behandlung der Obstipation eingesetzt. Es wurden keine ausreichenden und gut kontrollierten Studien bei schwangeren Frauen durchgeführt. In den letzten 70 Jahren gab es jedoch keine Hinweise auf unerwünschte oder schädliche Wirkungen während der Schwangerschaft [2].
Eine Studie mit acht stillenden Müttern zeigte, dass auch nach mehrfacher Verabreichung von Bisacodyl kein Wirkstoff in die Muttermilch überging [2]. Die Embryotox-Datenbank kommt zu dem Schluss, dass Stillen während der Bisacodyl-Therapie ohne Einschränkung möglich ist [9].
Die Bewertung der Anwendung von SPS in Schwangerschaft und Stillzeit stimmt mit der von Bisacodyl überein [10]. Allerdings gibt es Gründe, Senna nicht bei Schwangeren anzuwenden, da chemisch vergleichbare Substanzen im Tierversuch schwache genotoxische Wirkungen gezeigt haben [1].
Zusammenfassung
Der natürliche oder synthetische Ursprung von Abführmitteln sagt nichts darüber aus, ob das eine sicherer oder wirksamer ist als das andere. Beide sind Arzneimittel und müssen ihre Wirksamkeit und Sicherheit in klinischen Studien unter Beweis stellen. Die jüngste AGA/ACG-Leitlinie empfiehlt die Verwendung natürlicher und synthetischer Stimulanzien zur Behandlung der chronischen idiopathischen Obstipation, räumt aber unterschiedliche Empfehlungs- und Evidenzgrade ein. Die Autoren kritisieren das Fehlen von Studiendaten und die Tatsache, dass in den verfügbaren Studien ungewöhnlich hohe Dosen verwendet wurden.
Bisacodyl und SPS sind lokal wirkende Laxanzien, die die Darmsekretion und -motilität beeinflussen und als Standardbehandlung der Obstipation gelten. Die Behandlung sollte mit einer niedrigen Dosis begonnen und je nach Bedarf erhöht werden. Da die chronische idiopathische Obstipation häufig über lange Zeiträume auftritt, ist eine sichere und klinisch wirksame Behandlung erforderlich. Die verfügbaren Studien deuten darauf hin, dass die langfristige Einnahme von Bisacodyl nicht mit einer Gewöhnung oder Abhängigkeit einhergeht.
*Embryotox ist das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryotoxikologie an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Es wird vom deutschen Bundesministerium für Gesundheit finanziert. Es informiert seit 1988 unabhängig über die Sicherheit von Arzneimitteln in der Schwangerschaft und Stillzeit.
Literatur
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- Bouchoucha M, Amand C, et al. A retrospective real-world observational study assessing the evolution of bisacodyl prescriptions in patients with constipation during long-term treatment. Drugs Real World Outcomes 2023;10:249–261. https://doi.org/10.1007/s40801-023-00354-6
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- van der Schoot A, Creedon A, et al. The effect of food, vitamin, or mineral supplements on chronic constipation in adults: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Neurogastroenterol Motil. 2023;35:e14613. doi: 10.1111/nmo.14613. Epub ahead of print. PMID: 37243443.
- SMPC. Dulcolax Adult 5 mg Gastro-resistant Tablets. https://www.medicines.org.uk/emc/product/361/smpc (access 28.09.2023).
- Embryotox: Bisacodyl. https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/bisacodyl/ (access 28.09.2023).
- Embryotox: Natriumpicosulfat. https://www.embryotox.de/arzneimittel/details/ansicht/medikament/natriumpicosulfat/ (access 28.09.2023).
Interessenkonflikt: K. Patel, A. Aran und A. Lacerda sind Mitarbeiter von Sanofi.
Offenlegungen: Medical Writing finanziert von Sanofi.
Danksagung: Die Autoren danken Dr. Paula Fontanilla für die kritische Überprüfung des wissenschaftlichen Inhalts dieses Manuskripts und die Unterstützung bei der Erstellung der Abbildungen.